Menschen im Aufbruch
Kapitel 4: Die Hamsterer, die Maggeler und die Fringser
"Koche kann ich och! Ävver us nix jet mache, wie ming Mutter, dat kann ich nit"
„Der Hunger hat die Menschen verändert", erinnert sich die damals 21 jährige Hanni Kohlhof. ,,Man war gereizt, raffte nach allem, was man kriegen konnte. Wenn zwei oder drei Personen zusammenstanden, sprachen sie über das Essen." Das ließ sich gar nicht vermeiden, die Gespräche endeten immer wieder bei diesem Thema. Jeder hatte seine eigenen Phantasien. ,,Meine Schwester sah sich am liebsten einer Cremetorte gegenüber, meinem Vater erschien einmal eine Blutwurst mit Zwiebeln im Traum", erzählt Hanni Kohlhoff. Sie selbst war bescheiden: ,, Mir schwebte oft ein Brötchen mit Käse in unerreichbarer Höhe durch die Sinne." In Wirklichkeit ernährten sich die Kölner vor allem von einem aus Mais gebackenen Brot. Es lag wie ein Stein im Magen. Und als wäre es gestern gewesen, erinnert sich Inge Seckinger mit Schaudern: ,,Dazu gab es eine knallrote Marmelade. Furchtbar. Es gab auch Teilchen, die mit dieser Marmelade gefüllt waren."
Die erträumten Speisen waren unerreichbar, selbst Maisbrot war schwer zu bekommen, Heinz Söntgerath stellte sich in Porz manchmal um fünf Uhr morgens an; um acht Uhr kam der „fliegende Händler" Hartmann mit seinem Dreirad-Lieferwagen und verkaufte Lebensmittel auf Karten. Söntgerath mußte zusehen, daß er möglichst als erster in der Reihe stand, ,,daß wir überhaupt noch was bekommen haben. Das war immer so beschränkt, daß alles ausverkauft war, wenn man später kam." Der Tagesablauf der 16jährigen Hildegard Volk sah 1945 so aus:
„Viele Stunden anstehen für die wenigen Dinge, die es gab - drei Stunden für ein Brot waren normal -; Wasser holen am Hydranten und stundenlang Schutt und Scherben aus der beschädigten Wohnung räumen, um sie nach und nach wieder bewohnbar zu machen." Wirklich: Nicht einmal Wasser gab es ohne weiteres. Weil die Leitungen zerstört waren, mußten die meisten Kölner ihr Wasser am Brunnen holen. Willy Geller zum Beispiel ging zum Brunnen der Brauerei Winter an der Claassen-Kappelmann-Straße. Zuerst schleppte er Wasser in Eimern, aber das wurde zu anstrengend. Er fand eine bessere Lösung: ,,Ich baute mir ein Gefährt aus einer Badewanne, ein paar Brettern und den Rädern eines Kinderwagens. Damit zog ich dann zur Winterbrauerei." Und um Kaffee zu bekommen, stellte er sich manchmal schon um drei Uhr morgens vor dem Laden von Sterck & Zoon an der Palmstraße an. Zu trinken gab es „Krahnenberger", selten Milch und wenn, dann fast nur Magermilch, sagt Heinz Söntgerath.
Kaffee war eine noch größere Rarität als Fleisch, das es wenig genug und auch nicht immer gab. Anfang Mai 1945 betrug die Fleischration für einen Erwachsenen 150 Gramm pro Woche. Trotzdem empfand Wolfgang Michels die Verpflegung „dank reichlicher Zufuhr an frischem Gemüse als durchaus gut und ausreichend". Sogar Spargel konnte damals aus der Gegend um Mainz und Ingelheim nach Köln gebracht werden, weil die US-Armee den Treibstoff für den Transport zur Verfügung stellte. Im September 1945 gab es auf Lebensmittelkarten für jeden nur noch 100 Gramm Fleisch pro Woche, dazu je 62,5 Gramm Butter und Margarine, 2500 Gramm Brot, 100 Gramm Kaffeersatz, 300 Gramm Nährmittel und 2000 Gramm Kartoffeln. Doch das war die Theorie. In Wirklichkeit konnte man längst nicht alles kaufen. ,,Wenn es hieß, hier in Dellbrück gibt es in einem Laden dies und jenes, dann standen die Leute ganz brav Schlange", berichtet Ruth Sinne: ,,Aber wenn man Pech hatte, war die Ware aus, kurz bevor man dran war." Frau Jünger aus Weiß wußte sich allerdings zu helfen: ,,In einer Pferdemetzgerei - ich weiß aber nicht mehr, wo - erhielt man für die Fleischmarken die doppelte Ration, und das Fohlengulasch dort war eine Delikatesse." Aber so etwas war die Ausnahme.
Um die Lebensmittelzuteilung aufzubessern, sammelten viele Brennesseln, aus denen man Spinat kochen konnte. Die Mutter von Günter Hagedorn kochte eine Pflanze, die er als „Dreifuß" bezeichnet. Sie nannte das Gemüse Rübstiel. Wer reichlich Rüben organisieren konnte, kochte sie zu Rübenkraut ein. Bei Familie Braschoss wurde das in der Waschküche gemacht. Die Kinder mußten stundenlang im Bottich rühren, damit nichts anbrannte. Und wenn andere Hausbewohner gerade dann ihre Wäsche waschen wollten, hieß es: ,,Heute geht das nicht, heute wird Rübenkraut gekocht." Steckrüben konnte man natürlich auch als Gemüse verwenden. Frau Rother hatte eine Art Geheimrezept, bei dem mit den Rüben Erdbeerblätter gekocht wurden. Zum Ergebnis bemerkt sie trocken: ,,Es ist keiner krank geworden."
Wer einen Garten hatte, sah zu, daß er Gemüse zog und Tiere zum Schlachten hielt. ,,Pflanzen ist lebenswichtig", appellierte der „Kölnische Kurier" schon am 28. April 1945; ,,auf jedem Hof muß Gemüse angebaut werden", hieß es am 3. Juli, und so setzten sich die Aufrufe fort. Auch die Vorgärten wurden zu Gemüsebeeten umfunktioniert. Wolfgang Michels zog dort auch etwas anderes: Tabak. Aus vier Pflanzen gewann er 60 Gramm. Nachdem er allerdings die erste selbstgedrehte Zigarette geraucht hatte, schrieb er in sein Tagebuch: ,,Ganz so gut wie die ,Dritte Sorte' oder gar eine ,Nil' schmeckt sie nicht." Besser schmeckten da schon die Kaninchen, die die Eltern der damals 12jährigen Frau Kröger auf dem Balkon hielten. Bis zu 20 Tiere wurden mit Akazienblättern aus der Neuenhöfer Allee gefüttert, mit Heu aus dem Schrebergarten und mit Kartoffelschalen, die bei Bekannten gesammelt wurden. Die bekamen dafür nach einem Jahr ein Kaninchen zum Schlachten. Obwohl die Kinder nicht mit den Kaninchen schmusten, gingen am Schlachttag alle aus dem Haus, weil keines den Tod der Tiere mit ansehen konnte. Gegessen wurden wohl trotzdem mit Heißhunger.
Die Familie Hamm hielt sogar zwei Gänse in der Innenstadt, die dem Vater auf Schritt und Tritt hinterher liefen, mit ihm auf bewachsenen Trümmerbergen spazierengingen, um dort zu weiden, und sich von ihm sogar den Hals gegen den Strich streicheln ließen. Sie gingen selbständig über die Treppe in die erste Etage, sehr zum Leidwesen der Mutter, denn die Vögel ließen immer etwas fallen. Vater Hamm arbeitete als Fahrer bei einer Behörde, und wenn er abends nach Hause kam, rief er: ,,Wo sind die armen, armen Tiere?" Dann schrien die Gänse vor Freude, weil sie von ihm ausgeführt wurden. Hamms Nachbar, Wachtmeister Böhning, bekam die Szene jedesmal mit. Als Weihnachten kam und eine Gans geschlachtet werden sollte, konnte keiner aus der Familie das übers Herz bringen. Also wurde ein Onkel mit der Aufgabe betraut. Obwohl sich alle auf den Gänsebraten gefreut hatten, bekam niemand einen Bissen hinunter. Das zweite Tier, das noch lebte, trauerte und fraß nicht mehr. Es wurde dem Onkel zum Schlachten gegeben, damit wenigstens irgend jemand etwas von dem Fleisch hatte. Als das strohgefütterte Gatter leergeräumt wurde, fand man ein Gänseei: Die Gänse hatten zu brüten begonnen, ehe sie geschlachtet wurden. Tochter Anneliese, war damals sehr traurig darüber: ,,Da hatten also die Gänse eine Familie gegründet, und die Menschen hatten so grausam eingegriffen." Der Nachbar aber, der als Polizist am Heumarkt das bißchen Verkehr regelte, sah den Vater immer, wenn er mit dem Dienstwagen vorbeikam. Dann rief er jedesmal lautstark: ,,Die armen, armen Tiere!"
Eine gute Möglichkeit, an Lebensmittel zu kommen, hatten Handwerker. ,,Mein Vater war Schreiner", berichtet Frau Rother. ,,Er reparierte zum Beispiel eine Tür oder ein Bett und bekam dafür ein Brot." Doch solch ein Handel war nicht ungefährlich. Ein Dachdecker, der für fünf Kilo Zucker ein Dach repariert hatte, wurde dafür zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Das berichtete der „Kölnische Kurier" seinen Lesern am 15. Januar 1946 zur allgemeinen Abschreckung. Nur wäre ohne solchen Tauschhandel kaum ein Haus repariert, kaum ein Unternehmen wieder in Gang gebracht worden. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Gerhard Kienbaum. Im Oktober 1945 ließ er sich bei der Stadt Gummersbach als selbständiger Unternehmer registrieren. Mit dem Fahrrad fuhr er das Oberbergische ab: Engelskirchen, Wiehl, Bergneustadt, Wipperfürth. Meistens waren die Hallen der Textilfabriken im Krieg leergeräumt worden, um dort kriegswichtige Produktion aus dem bombengefährdeten Köln unterzubringen. Erst nachdem die Anlagen der Ford-Werke und von Klöckner-Humboldt-Deutz wieder nach Köln gebracht worden waren, konnten die Textilfabriken ihre eigenen Maschinen wieder aufbauen. Kienbaum war weniger Unternehmensberater denn Handwerker und Techniker. In seinem U-Boot-Montageanzug, der ihm aus dem Krieg geblieben war, kroch er in Heizkessel, um diese zu reparieren. Doch es fehlte an Ersatzteilen; ihre Hersteller saßen in der Sowjetischen Besatzungszone. An sie war nicht heranzukommen. Also baute Kienbaum die Ersatzteile selbst. Dazu brauchte er Blech und anderes Metall. Um das zu bekommen, mußten „Bezugsscheine, Beziehungen und vor allem Tauschwaren" herhalten. Seine Hauptbeschäftigung war die Suche nach Lieferquellen. Am Bahnhof Derschlag bei Gummersbach gab es eine Art Tauschbörse: Kienbaum brachte Streichgarne, die ihm seine Auftraggeber gaben, um dafür Metall zu bekommen. Zwei Drittel seiner Arbeitszeit brauchte er, um herauszufinden, ,,womit ein Tausch möglich war". ,,Ohne den Schwarzmarkt wäre damals nichts gegangen", resümiert der heutige Chef einer der renommiertesten europäischen Unternehmensberatungen.
Die Kehrseite schildert Max Adenauer, der damals in der Personal- und Rechtsabteilung von Klöckner-Humboldt-Deutz arbeitete: ,,Weil für Geld wenig zu haben war, hatten es die Betriebe schwer, Arbeiter zu finden." Deshalb gab es bei vielen Firmen neben Geld auch Naturalien. Der Vater von Brunhilde Eichel, der bei den Ford-Werken arbeitete, brachte einmal ein Fahrrad nach Hause. Ein anderes Mal überließ ihm der Betrieb ein Paar Schuhe. ,,Allgemein war es für die Leute lukrativer, ab und zu nach Mayen zu fahren, Kartoffeln zu holen und hier zu verkaufen, als für Geld ohne Wert zu arbeiten", sagt Adenauer.
Und das Geld verlor immer mehr an Wert. In den letzten Monaten vor der Währungsreform kostete ein Eimer Rübenkraut 500 Mark und ein Pfund Butter 300. Rudolf Koller verdiente bei der Deutschen Bank damals 800 Mark im Monat. Schließlich machte er Schulden, am Tag vor der Währungsreform waren sie auf 100 000 Mark angewachsen, am Tag danach betrugen sie noch 10 000. Acht Wochen vor der Reform war in den Geschäften praktisch nichts mehr zu erhalten, erinnert sich Rudolf Kollers Sohn Rolf. ,,Danach war schlagartig alle Ware da. Das habe ich nie vergessen." Die Eltern gingen mit den Kindern sofort zu Hettlage und Kämpgen, kauften Kleider und Schuhe. ,,Aber was", fragt sich Rolf noch heute, ,,haben die Leute gemacht, die nicht so viel Geld hatten und keine Schulden machen konnten?" Eine Antwort gibt Hildegard Menge, wie Hildegard Volk heute heißt, die einen damals 18jährigen Altersgenossen zitiert: ,,Koche kann ich och! Ävver us nix jet mache, wie ming Mutter, dat kann ich nit." (Kochen kann ich auch! Aber aus nichts etwas machen, wie meine Mutter, das kann ich nicht.)
„Us nix" wurden sogar Festessen gemacht, das Hochzeitsmahl von Hans und Sophie Krakau zum Beispiel am 2. Juli 1945: ,,Nach der kirchichen Feier erwartete uns ein ,feudales' Frühstück, das aus 40 Brötchen bestand. Ein Hochzeitsgeschenk unseres Bäckers. Ein kleiner Rollschinken war der begehrte Aufschnitt dazu." Bis zur Hochzeitsfeier hatte der Schinken in einem Leinensäckchen am Bettpfosten von Hans Krakau gehangen. ,,Jeden Abend hat er mit Heißhunger an diesem Säckchen geschnuppert", berichtet Sophie Krakau. Aber im Hinblick auf den großen Hochzeitsschmaus hat er der Versuchung und dem Hunger doch immer widerstanden.
Der Hunger war fast immer da, im Winter kam das Frieren dazu. In den Nachkriegswintern fiel das Thermometer oft weit unter Null. Aber es gab kaum eine Wohnung, in der es nicht zog, und Heizmaterial war so knapp wie Fleisch. Da auf legalem Wege kaum Kohlen zu bekommen waren, verbrannten die Kölner alles, was sie finden konnten. Sie gingen in die Wälder oder zerhackten Möbelstücke zu Brennholz. Günter Hagedorn sägte nachts heimlich junge Bäume ab, und Kurt Walther machte an der Frankfurter Straße in Ostheim Baumstümpfe aus, um sie zu· verheizen. Soldaten hatten die Bäume selbst kurz vor Kriegsende gefallt, wohl um Barrikaden gegen die Alliierten zu bauen. So hatte „die Wehrmacht gewissermaßen Vorarbeit geleistet", meint Walther heute. Ganz „legal" fand die damals sechsjährige Frau Schnell ab und zu ein halbes Brikett auf dem Schulweg in Holweide. ,,Das war ein Schatz, den ich immer sehr froh nach Hause gebracht und meinem Vater geschenkt habe. Ich hing besonders an ihm, weil meine Mutter ja verstorben war." Maria Krauss-Flatten weiß auch noch, wie wichtig auch kleinste Gesten waren. ,,Jeder war doch irgendwie heimatlos und mit den primitivsten Dingen beschäftigt, gleichsam nur der kommenden Stunde verhaftet."
Wer Verbindungen aufs Land hatte, war gut dran. Wie die Eltern von Heinz Söntgerath aus Porz. ,,Wir hatten in Spich ein Stück Land an einen Bauern verpachtet. Dafür wollten wir kein Geld, sondern Naturalien. In diesem Fall immer so sieben bis acht Zentner Kartoffeln." Frau Jüngers Vater, ein Hutformfabrikant vom Vorgebirgswall, hatte or dem Krieg Bauern bei Bad Godesberg eine Hypothek gegeben. Die zahlten sie zum Beispiel in Himbeeren zurück, die per Rucksack nach Köln gebracht wurden. ,,Bei der Ankunft war der Rücken allerdings naß und rot, die Himbeeren ziemlich dezimiert. .. " Trotzdem war es noch ein gutes Geschäft.
Die anderen Kölner mußten hamstern, um nicht zu verhungern. Oder sie maggelten. Und wer sonst nicht hätte heizen können, der fringste. Das sind Wörter, die seit jener Zeit zum Kölner Sprachgebrauch gehören. Die Hamsterer, die Maggler und die Fringser, das waren nicht einige wenige. Fast jeder gehörte dazu.
Wer hamstern oder maggeln wollte, mußte etwas zum Tauschen haben. Wenn man zum Beispiel nicht rauchte, konnte man seine Zigarettenzuteilung eintauschen. Eine Zigarette war sechs Mark wert, ein Pfund Speck kostete 400 Mark. Kurt Walther fuhr samstags in die Eifel oder den Westerwald, um Brot oder Kartoffeln einzutauschen - gegen die 20 Zigaretten, die es ab und zu gab. Auch die achtjährige Marianne Dinkel und ihre Mutter waren zeitweise gut versorgt. Mariannes Vater war in kanadischer Kriegsgefangenschaft und schickte ab und zu seine Zigaretten nach Hause. Damit bezahlte die Mutter nicht nur die Heimfahrt per Lkw aus der Evakuierung in der Eifel nach Köln, sondern handelte auch noch Lebensmittel ein.
Aber es wurde nicht nur in der berühmten Zigarettenwährung bezahlt. Kurt Walther gab zum Beispiel sein Fahrrad her, um Essen zu bekommen. Ein Fahrrad war damals etwas sehr Wichtiges, so kostbar, das es Verbrecher gab, die Menschen erschlugen, um an die Fahrräder zu kommen. Rolf Koller hat in Merheim mehr als einmal bei der Beerdigung solcher Opfer assistiert. Weil Fahrräder so wertvoll waren, konnte man dafür sehr große Mengen Lebensmittel bekommen. Kurt Walther fuhr dazu mit einem Verwandten aus Betzdorf nach Kirchheim und handelte Weizen und Erbsen ein. Um die ganze Ware nach Köln zu bringen, reichte eine Fahrt nicht aus. Er mußte mehrmals nach Betzdorf, um Weizen und Erbsen nach Hause zu bringen, ,,jedesmal eine Fahrt mit Hindernissen, teils per Bahn, teils per Lastwagen, weil die Bahnstrecke nach Köln mehrere Male unterbrochen war". Manche Bauern waren extrem knauserig. Marianne Dinkel erinnert sich an die aus dem Vorgebirge: ,,Wir durften nur in den Furchen der abgeernteten Kartoffelfelder nach winzig kleinen Knöllchen suchen. Die briet meine Mutter abends, und mangels Fett tat sie etwas Kaffeemehl vom Muckefuck dazu, damit es wenigstens braun aussah."
ln dieser Zeit trugen Köner Familien ihr Erbe, ihren Schmuck, ihr feines Besteck, ihre gute Wasche zu Markte. Die Kollers bekamen einmal für einen Brillantring ein ganzes Spanferkel. Rolf Koller erinnert sich noch,
wie die Mutter das Schwein auf dem Küchentisch zerlegte und einpökelte. Sie sang die ganze Zeit bei der Arbeit. Man konnte aber auch einfache Waren tauschen, zum Beispiel Fliegenpatschen. Davon hatte Ruth Sinnes Mutter einen gröBeren Vorrat, und die Bauern konnten sie gut brauchen, ,,weil es auf dem Land so viele Fliegen gibt". Eine Fliegenpatsche war ein Ei wert. Klemens Kurz dagegen tauschte in Hunsrückdörfern Zimtersatz gegen Eier und Speck. Die Bauern waren zwar anfangs skeptisch und wollten richtigen Zimt, aber eine Kostprobe überzeugte sie. Frau Janitza war 14 und zog mit ihrem neunjahrigen Bruder durch das Bergische. Sie bekamen für den Rosenkranz ihrer Orna eine Dose Wurst, für ein Ri::illchen Nahgarn ein halbes Brot und für ihre Kinderbücher Rübenkraut. Hilde Falter handelte mit Nahgarn und Schuhcreme. Max Adenauer hatte Zigaretten aus Care-Paketen anzubieten und Tapetenrollen - sein Schwiegervater besaB eine Tapetenfabrik. Um Nahrungsmittel für die KHD-Belegschaft zu erhalten, tauschte Adenauer sogar im groBen Stil: Maschinenteile und ganze Traktoren. Dafür gab es von den Bauern Kartoffeln und Rüben. ,,Die waren gar nicht so schlecht, wie man immer tut. "

Rolf Koller, der mit seinen Geschwistern im rechtsrheinischen Merheim wohnte, hamsterte viel im linksrheinischen. Meistens fuhr er mit dem Fahrrad hin. Die Nachricht, wo etwas zu haben war, verbreitete sich durch Mundpropaganda, und einmal hieB es, ein Bauer bei Pulheim suche ein bestimmtes Silberbesteck, das die Familie besß. Koller packte das Besteck zusammen - einen kompletten Satz für sechs Personen - und bekam dafür zwei ganze Taschen voll Honig, Butter, Brot und Mehl.
Ohne Tauschware war bei den Bauern kaum etwas zu holen. Trotzdem fuhren der Vater von Brunhilde Eichel und ein Arbeitskollege einmal los, ohne irgend etwas zum Tauschen zu haben. Es muB die reine Verzweiflung gewesen sein, die die beiden Manner zu dieser Hamsterfahrt angetrieben hatte. Unterwegs lief ihnen ein Hund nach und begleitete sie bis zur Tür eines Bauern. Der sah den Hund und wollte ihn gern haben. Die beiden Manner taten so, als ob sie sich um keinen Preis von dem Tier trennen wollten, und handelten dadurch den Preis hoch. Sie bekamen sogar Wurst als Gegenwert für einen Hund, der ihnen gar nicht gehõrte.
Auch Rolf Koller drückte sich einmal die Nase an den Fenstern eines Bauernhauses platt, ohne etwas zum Tauschen dabei zu haben. Das war in Merten. Die Bauernfamilie aß Bohnensuppe und Kartoffeln. Rolf klopfte an: ,,Haben Sie nicht irgend etwas für mich?" ,,Mit Geld kõnnen Sie uns keinen SpaB machen", sagte der Bauer, ,,aber wenn Sie uns Ihren Mantel geben, kriegen Sie Bohnen." Rolf zog den Mantel aus. Er paBte einem der Bauernkinder. Dafür bekam er einen
Zentner Bohnen. Frierend aber glücklich schob er sein Fahrrad den weiten Weg nach Hause zurück, beladen mit Bohnen. Um elf Uhr nachts kam er an.
Eine der weitesten Hamsterfahrten machte Josef Frohn im Frühjahr 1947, als der Hunger am grõBten war. Als blinder Passagier fuhr er mit Güterzügen bis nach Würzburg, dort erstand er drei Zentner Kartoffeln. Eine abenteuerliche Reise, aber selbst eine Fahrt in die Voreifel war schon umstandlich genug. Die Züge in Richtung Euskirchen fuhren anfangs nur bis Weilerswist und wendeten dort, denn die Brücke bei Weilerswist war zerstört. Man muBte zu FuB auf die andere Seite gehen, erinnert sich Peter Kahlenborn.
Von den deutschen Behorden und der britischen Besatzungsmacht wurde das Hamstern genauso verfolgt wie das Maggeln. Beides war ja Schwarzhandel, nur daß man zum Hamstern aufs Land fuhr, wahrend die Maggler in der Stadt zu finden waren. Die deutsche Polizei
kontrollierte zum Beispiel haufig am Bonner Verteiler; dort kamen die Kölner, die auf dem Land gehamstert hatten, mit dem Fahrrad vorbei. Frau Bliersbach hatte in Bornheim auf dem Feld gearbeitet und dafür Lebensmittel bekommen. Sie kam zur Polizeisperre und sah, daß den Leuten alles abgenommen wurde. Da entdeckte sie ein britisches Militarauto mit einem Colonel,
den sie vom Wasserholen kannte (am Brunnen wuschen die Soldaten ihre Autos). Die 14jahrige
konnte etwas Englisch und schilderte dem Colonel ihre Lage. Der lud ihr Fahrrad auf, sie passierte zu Fuß die Kontrolle, und hinter der Sperre wartete der Colonel mit dem bepackten
Fahrrad auf sie. Der gleiche Colonel hatte sie auch schon wahrend der Razzia gegen die polnischen Fremdarbeiter nach Hause gebracht.

Auch die Züge mit den Hamsterern wurden kontrolliert. Deshalb fuhren die Eltern von Frau Schiffer mit ihren Kindern in die Eifel hamstern. Es waren drei Kinder, die siebenjahrige und ihre Zwillingsgeschwister, die 1945 geboren worden waren. Der Vater hatte ihnen einen Zwillingskinderwagen mit Autofedern und doppeltem Boden gebaut. ,,Wir mußten ja durch die französische Zone bei Remagen", sagt sie: ,,Und das war immer sehr aufregend. lch habe dann immer Blut und Wasser geschwitzt, weil wir da durch die Kontrollen mußten. Mein Vater hatte zum Beispiel ein Stück Speck ums Bein gebunden, und die Zwillinge saßen immer auf Kartoffeln, Eiern und was weiß ich nicht noch." Entdeckt wurde die Hamsterware aber nie. Die Mutter von Ruth Sinne hatte sogar einen speziellen ,,Hamstermantel" mit vielen lnnentaschen, die sie extra hineingenäht hatte und in denen sie das Hamstergut versteckte. ,,Einmal hat sie bei Bauern viel Butter bekommen und die in die lnnentaschen gesteckt - aber das muß irgendwie ungünstig verteilt gewesen sein, denn meine Mutter wurde auf dem Kölner Bahnhof von einem Mitreisenden für schwanger gehalten. Er fragte höflich, ob er ihr den Koffer tragen dürfe." Weniger gemütlich verlief eine Hamsterfahrt von Hans Rolf
Maria Koller im Jahr 1946, als es im Zug plötzlich hieß: Die Briten kontrollieren und nehmen uns alle gehamsterte Ware ab! Sein Waggon stand gerade auf der Gleisbrücke über die Marzellenstraße, denn ähnlich
wie heute mußten die Züge aus dem Westen meistens kurz anhalten, bevor sie in den Hauptbahnhof einrollen konnten. Rolf sprang aus dem Wagen und hastete über die Gleise. ,,lch dachte nur, hoffentlich schießen sie nicht auf mich. Daß mich ein Zug überfahren könnte, fiel mir nicht ein." Dort, wo heute die Tankstelle an der Marzellenstraße neben dem Bahndamm steht, hatte damals eine Gemüsehandlerin namens Weilerswist Kohlen gelagert. Rolf rutschte die kleine Kohlenhalde herunter und lief tiefschwarz davon.
Einmal fuhren die Mutter und die Tante von Ruth Sinne gemeinsam hamstern. Die Tante hatte im Koffer eine Gans und die Mutter in einer Tasche ein Huhn. ,,Dann kamen Kontrollen - und die Gans schnatterte, und das Huhn gackerte. Meine Tante hat hektisch auf den Koffer geklopft." Da war die Gans still. Und das Huhn wunderbarerweise auch. Als die Kontrolle vorüber war, stellte die Mutter fest, warum: Sie hatte die Tasche zu fest zugezogen, das Huhn war erstickt. lmmerhin waren die beiden Frauen nicht erwischt worden. Anders erging es Frau Janitza und ihrem Bruder, denen Bauern in Langel bei Merkenich ein Netz Spinat geschenkt hatten. Es wurde ihnen bei einer Kontrolle weggenommen.
Hilde Falter wurde bei der Rückkehr von einer Hamstertour kontrolliert. Sie war zusammen mit einer Freundin unterwegs und hatte den groBen Rucksack mit einem gehamsterten Huhn und Speck rasch ihrer
Freundin in die Hande gedrückt. Ihre Tasche gab sie dem Polizisten, der darin nur ein Röllchen Nähgarn und Schuhcreme entdeckte. Er fragte, was sie für das Nähgarn haben wolle. Drei Eier, antwortete Hilde Falter.
Der Polizist sagte, sie solle in seinem Büro vorbeikommen. Doch vor lauter Angst um das Huhn rannten die beiden Frauen über Felder zum nächsten Bahnhof. ln der Bahnhofswirtschaft genehmigten sie sich ein ,,Flieger-Bier". Das war, sagt Hilde Falter, weder Wasser noch Bier. Und wer stand an der Theke? Der Polizist, der natürlich wissen wollte, warum sie sich nicht gemeldet habe. Hilde Falter meinte, sie werde gleich kommen, versteckte sich aber bis zur Abfahrt des Zuges. Sie wollte gerade aufspringen, als der Polizist wieder da war. Er zerrte sie hinter einen Waggon - und gab ihr tatsachlich drei Eier, für die er das Nähgarn
erhielt. Der gerettete Speck wurde Frau Falter freilich auf der Reise gestohlen: Ein freundlicher Mitreisender bot ihr seinen Platz zum Schlafen an. Sie hatte ihm dummerweise erzahlt, was im Rucksack war, und als sie aufwachte, war der leer.
Das Maggeln war weniger anstrengend als das Hamstern, denn man muBte keine weiten Fahrten machen. Zum Maggeln konnte man beispielsweise in die Lindenburger Allee gehen, wo Willy Geller bei einem
Hollander Fleisch und Milch aus Ostfriesland kaufte - selbstverständlich schwarz. Andererseits war das Maggeln gefährlicher, denn die Polizei wuBte natürlich, wo die Schwarzmärkte waren - zum Beispiel am Rheinufer oder an der ,,Goldenen Ecke" von Brabanter und Flandrischer StraBe. Und den Lehrer Ernst Monckes stürzte das Maggeln in Gewissensnote: Er beklagte ,,die tiefe Demoralisierung, die aus dem Zusammenhang entstehen muBte, daB auf den als Verbrechen erklärten Schwarzhandel die Prämie des arbeitslosen Einkommens stand, und daB - um das nackte Leben zu fristen - auch der aufrichtigste Bürger täglich am Verbrechen teilnehmen muBte". Erst die Währungsreform habe dem Einhalt geboten. Sie beendete über Nacht jene Schattenwirtschaft, die die Militärpolizei der Besatzer und die deutsche Polizei trotz aller Razzien nie unter Kontrolle hatten bringen konnen.
Der Vater von Herrn Hissing kam einmal zehn Tage lang wegen Hamsterns in Haft, aber meistens wurde bei den Kontrollen in den Hamsterzügen nur die Ware beschlagnahmt. Die Maggler dagegen wurden öfter festgenommen. Zum Beispiel Willy Geller, der einmal mit anderen Leidensgenossen auf einem Lastwagen zur Kripo in die Merlostraße gebracht wurde. Dort wurden sie bis drei Uhr nachts festgehalten und muBten dann zu FuB heimgehen. Ähnlich erging es Hanns Schaefer. Er lebte damals auf dem Land in Lechenich. Schaefer war aus französischer Kriegsgefangenschaft geflohen, hielt sich also illegal im Rheinland auf; er hatte deshalb keine Lebensmittelkarten (und bekam nicht einmal die 40 Mark bei der Währungsreform). Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Zeichnen. Die britischen Soldaten lieBen sich von ihm porträtieren und - nach Fotografien - auch ihre Frauen. Für ein Porträt gab es eine Stange Zigaretten. Dafür konnte Schaefer schwarz einen Zentner Mehl oder ein Kilo Fett, Speck oder Würste eintauschen. Meistens tat er das bei Bäckern und Metzgern auf dem Land, aber einmal versuchte er, seine Zigaretten auf dem Kölner Waidmarkt loszuwerden - und wurde prompt festgenommen. Er verbrachte eine Nacht im Keller des Polizeipräsidiums an der Ecke Schildergasse/Krebsgasse und hatte fürchterliche Angst: Wenn man festgestellt hätte, wer er war, wäre er ja an die Franzosen ausgeliefert worden. Aber er wurde am nächsten
Morgen ohne Begründung freigelassen. Noch einmal hat Schaefer nicht zu maggeln versucht. Er fuhr aber weiterhin täglich nach Köoln, um Gelegenheitsarbeit zu suchen - fast anderthalb Stunden unter Benutzung der ,, Flutsch", der Kreisbahn von Euskirchen nach Oberliblar.
Peter Kahlenborn wurde am Dom geschnappt, als er gerade ein neues Zigarettenetui mit drei schwarz erworbenen Zigaretten bei sich hatte. Zigaretten waren so teuer, daß Kahlenborn sich höchstens eine oder zwei davon in der Woche leisten konnte. Deshalb rauchte er sie stückweise: Er zündete die Zigarette an, genoß ein paar Züge und machte sie wieder aus. Nun wollte er sich, froh über die drei Zigaretten im neuen Etui, nur noch ein wenig das Hochwasser ansehen, das der Rhein damals führte - da kam die Polizei. Kahlenborn mußte dann, um nicht angezeigt zu werden, vier Wochen lang jeden Abend nach der Arbeit bei der Polizei vorbeikommen, die weißen Koppel waschen und nachfärben, die Klos putzen und die Stuben kehren. Er mußte bis um neun Uhr abends für die Polizisten arbeiten und dann sehen, wie er heim nach Ehrenfeld kam, denn um zehn Uhr war Sperrstunde.
Heinz Hissing erinnert sich an die Razzien in der Südstadt. ,,Da kamen die Polizisten immer von vier Seiten auf die Leute zu." Das Revier auf der Bonner Straíse leitete der Polizist Hasemeier, genannt ,,Schutzmann Schnauzer". Wenn die Razzia kam, führte die britische Militärpolizei die Aufsicht. Nur im Revier des Schutzmanns Schnauzer traten ausschließlich deutsche Polizisten in Aktion.
Britische Militarpolizei war es dagegen, die einmal Frau Erkelenz festnahm. Sie hatte eine große Segeltuchtasche mit einem Paar Militarschuhen dabei, die sie am Domhotel gegen etwas Eßbares eimauschen
wollte. Die Militarpolizei kreiste die Maggler ein, und Frau Erkelenz warf die Schuhe aus lauter Angst weg. Trotzdem wurde sie festgenommen. Alle Festgenommenen wurden auf einen Lkw gestellt. Die Fahrt
in die Merlostraße war ziemlich gefährlich, denn die Bretter um die Ladefläche gingen den Leuten nur bis zu den Knien. Frau Erkelenz' 13jahriger Sohn, der die Festnahme zufällig beobachtet hatte, sagte zu seinem
Bruder: ,,Wir bekommen heute kein Essen, die Mutter ist im Knast!" Aber am nächsten Tag war sie wieder da, denn normalerweise, das zeigen ja auch die Geschichten von Willy Geller und Hanns Schaefer, kamen die meisten Festgenommenen rasch wieder frei. So berichtete der ,,Kölnische Kurier" am 13. Juli 1945 von einer ersten großen Razzia gegen die Schwarzhändler am Dom; 423 Personen wurden festgenommen, nur 48 blieben in Haft. Doch am 4. September schrieb das Blatt über den Ausgang eines Prozesses, bei dem es bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe für Maggler gegeben hatte.
Glück hatte, wer mit den Besatzern maggeln konnte. Heinz Sontgerath besaß aus seiner Zeit beim Jungvolk noch ein Fahrtenmesser mit Hakenkreuzemblem und ähnliche Schätze. Das alles tauschte er bei
den Amerikanern gegen Schokolade, Kaffee und Zigaretten für seinen Vater ein.
Eine begehrte Tauschware war der Schnaps. Schnaps war auch deshalb günstig, weil man ihn selbst herstellen konnte. Man konnte Getreideschnaps brennen, was eine einigermaßen saubere Arbeit war, oder Schnaps aus Zuckerrüben. ,,Dann klebte die ganze Küche", berichtet Norbert Burger. Die Rüben wurden gewaschen, geschnetzelt und mit Wasser gekocht. Dann konnte man sie pressen und den Saft durch
weiteres Kochen eindicken. Schließlich wurde er mit Hefe versetzt und garte. Als Brenngerät nahmen die Burgers einen Benzinkanister der Wehrmacht, in dessen Verschluß ein Loch gebohrt worden war. Darin
saß ein Kupferrohr, das über einige Windungen in einem kleineren Gefäß zum Auffangen mündete. Der Kanister wurde im Wasserbad erhitzt. Im Auffanggefaß sammelte sich klarer Schnaps: ,,Was zuerst kam, war extrem scharf, zuletzt dagegen kam mehr Wasser als Alkohol." Den Schnaps verfeinerte Mutter Elfriede Burger entweder mit Kakaopulver und Eiern zum Likör, oder er wurde pur auf dem Schwarzmarkt verhökert.
,,Für eine Flasche gab es anderthalb Pfund Butter, drei Schachteln Zigaretten oder 800 Mark."
Besonders begehrt waren, wie schon gesagt, Zigaretten. An der Bonner StraBe kosteten nach Angaben von Heinz Hissing amerikanische Zigaretten zehn und belgische sieben Mark das Stück; zum Vergleich: ein halbes Pfund Butter war 100 Mark wert. Bei den Magglern am Dom, die Peter Kahlenborn kannte, kosteten die teuersten amerikanischen Zigaretten nur sieben Mark das Stück und nicht zehn wie an der Bonner StraBe. Das ist auch der Preis, den Norbert Burger in Erinnerung hat. Die amerikanischen Zigaretten schmeckten am besten. Die belgischen (am Dom drei Mark) ,, waren so schwarz wie heute die ,Rote Hand'", die britischen (fünf Mark) ,, waren ziemlich parfümiert", sagt Hissing. Norbert Burger kannte auch ,,Bosco"-Zigaretten aus pfälzischem Tabak, die mit drei Mark soviel kosteten wie die schwarzen belgischen.
Zwischen Maggeln und Hamstern gab es einen direkten Zusammenhang. Wer nicht gerade mit selbstgemachtem Schnaps handelte oder Tauschware von den Besatzern erhielt, der mußte die Schwarzmarktware ja
irgendwo auBerhalb der Stadt besorgen. Und Maggler waren meistens Leute, die in groBem Stil hamsterten, nicht für den eigenen Bedarf, sondem um mit der Ware zu handeln. Die Grenzen waren flieBend. ,,Aber die professionellen Maggler waren wirklich reiche Leute", sagt Peter Kahlenborn. ,,Die fuhren zweimal die Woche nach Belgien und kamen dann immer mit Kaffee und Zigaretten und Schokolade zurück." Dafüor verkauften sie in Belgien Teppiche und Gemälde. Einer von den Magglern hat damals geheiratet und ein Fest gegeben. ,,Besser konnte es heute auch nicht sein", meint Kahlenborn. Für ein Pfund Kaffee bekamen die Maggler zum Beispiel ein Pfund Fleisch oder eine Flasche Schnaps. Auch Norbert Burger erinnert sich daran, wie gut das Geschäft der professionellen Schieber lief. Sie konnten sich schon bald Häauser bauen, die es
heute noch gibt - aber wo, das erzahlt er nicht.