Kulturtipp: Mauritshuis in Den Haag
Mitten in Den Haags Innenstadt liegt das kleine Museum "Mauritshuis" mit herausragenden Bildern von Vermeer und Rembrandt. Das Mädchen mit dem Perlenohrring von 1665 ist sicher das berühmteste Gemälde Vermeers, ebenso der Blick auf Delft. Auch das Gebäude im niederländisch-klassizistischen Stil mit Einflüssen der italienischen Renaissance ist sehenswert, erbaut um 1640 vom seinerzeit renommierten niederländischen Architekten Jacob van Campen. Es werden außerdem eine Vielzahl weiterer erstklassiger Werke der niederländischen und flämischen Malerei des 15. bis 18. Jahrhunderts gezeigt.
Wir zeigen hier einige Fotos ausgestellter Werke, um einen ersten Eindruck zu vermitteln und Lust auf einen eigenen Besuch zu machen. Aktuelle Infos finden Sie hier auf der Webseite des Museums. Es ist unbedingt empfehlenswert, Tickets vorher online zu buchen. So vermeidet man lange Wartezeiten und ist sicher, am gewünschten Tag das Museum besuchen zu können. Bringen Sie einen Kopfhörer für Ihr Smartphone mit und hören Sie zu fast jedem Bild einen gut gemachten Text direkt vor Ort.
Da an Vermeers Bild "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" sehr hohes Interesse besteht, folgt der offizielle Text dazu aus dem Katalog des Museums:
"Eine junge Frau blickt uns über die Schulter entgegen. Sie hält den Kopf leicht zur Seite geneigt, ihre graublauen Augen leuchten, ihre Lippen sind leicht geöffnet und feucht. Auf ihrem Kopf trägt sie einen Turban, den sie aus zwei Stoffstücken, einem blauen und einem gelben, gewickelt hat, und trägt einen Perlenohrring. Dieses übergroße Juwel in der Mitte der Komposition gibt dem Gemälde seinen Titel.
Das Gemälde bietet ein reichhaltiges Beispiel für jeden Aspekt von Vermeers virtuoser Maltechnik. Das Gesicht ist sehr weich modelliert, nicht sehr detailliert, sondern mit allmählichen Übergängen und unsichtbaren Pinselstrichen. Die Kleidung ist schematischer dargestellt und mit kleinen Farbpunkten belebt, die reflektiertes Licht suggerieren – ein Markenzeichen Vermeers. Trotzdem hat der Künstler deutlich Unterschiede zwischen den Materialien aufgezeigt – zum Beispiel zwischen dem weißen Kragen, der in pastoser Farbe gemalt wurde, und der trockeneren Farbe des Turbans, für die er das kostbare Pigment Ultramarin verwendete. Das bemerkenswerteste Detail ist jedoch die Perle. Diese besteht aus kaum mehr als zwei Pinselstrichen: einem hellen Glanzlicht oben links und der sanften Spiegelung des weißen Kragens auf der Unterseite.
Holländische Mädchen des 17. Jahrhunderts trugen keinen Turban. Mit diesem Accessoire verlieh Vermeer dem Mädchen ein orientalisches Aussehen. Bilder wie dieses waren im 17. Jahrhundert als Tronies bekannt. Tronies sind keine Porträts: Sie wurden nicht angefertigt, um ein möglichst genaues Abbild einer Person zu schaffen. Obwohl es wahrscheinlich ein Modell gab, bestand der Zweck einer Tronie hauptsächlich darin, eine Studie eines Kopfes anzufertigen, der eine bestimmte Figur oder einen bestimmten Typ darstellte. Rembrandt hatte Tronies um 1630 in der holländischen Kunst populär gemacht. Er fertigte Dutzende davon an, wobei er sich oft selbst als Modell verwendete und manchmal eine bemerkenswerte Kappe oder einen Helm trug.
Die Perle ist zu groß, um echt zu sein. Vielleicht trägt das Mädchen einen Perlentropfen aus Glas, der lackiert wurde, um ihm einen matten Glanz zu verleihen. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, dass die Perle ein Produkt von Vermeers Fantasie war. Perlen – sowohl echte als auch unechte – waren in der Zeit von etwa 1650 bis 1680 in Mode. Wir finden sie häufig auf Gemälden von Frans van Mieris, Gabriel Metsu und Gerard ter Borch. Das
Mädchen mit dem Perlenohrring ist der breiten Öffentlichkeit erst seit 1881 bekannt, als es im Venduhuis der Notarissen in Den Haag versteigert wurde. Am Tag der Besichtigung erregte es die Aufmerksamkeit des einflussreichen Kulturbeamten Victor de Stuers, der zusammen mit seinem Freund und Nachbarn, dem Kunstsammler AA des Tombe, dort war. Der Überlieferung zufolge erkannte De Stuers das Gemälde, obwohl es stark vernachlässigt worden war, als ein Werk von Vermeer. Einer anderen Version der Geschichte zufolge war das Gemälde zu schmutzig, um richtig bewertet zu werden, und die Identität des Malers wurde erst später klar, als beim Reinigen seine Unterschrift zum Vorschein kam. Wie dem auch sei, De Stuers und Des Tombe einigten sich darauf, nicht gegeneinander zu bieten, und Des Tombe erwarb das Gemälde daher für die vernachlässigbare Summe von zwei Gulden plus dreißig Cent Aufschlag.
Des Tombes Sammlung, die sowohl Werke von Zeitgenossen als auch von alten Meistern umfasste, konnte in seinem Haus in der Parkstraat 26 in Den Haag besichtigt werden. Der zukünftige Direktor des Mauritshuis, Abraham Bredius, war der erste, der die Vorzüge von Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge pries, als er es 1885 in der Parkstraat sah: „Vermeer stellt alle anderen in den Schatten; der Kopf des Mädchens ist so hervorragend modelliert, dass man fast vergisst, dass man ein Gemälde betrachtet, und nur dieser einzelne Lichtschimmer wird Ihre Aufmerksamkeit fesseln.“ Als er am 16. Dezember 1902 starb, stellte sich heraus, dass Des Tombe ein geheimes Testament gemacht hatte, in dem er dem Mauritshuis zwölf Gemälde vermachte, darunter Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge."
(Dies ist eine überarbeitete Version eines Textes, der veröffentlicht wurde in: P. van der Ploeg, Q. Buvelot, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis: Eine fürstliche Sammlung, Den Haag 2005, S. 256–258)